Geht uns die Schokolade aus?

by Le Magazine de la Diaspora Ivoirienne et des Ami(e)s de la Côte d’Ivoire | 22 décembre 2010 0 h 39 min

Es ist gar nicht so lange her, da war Schokolade für die Deutschen ein austauschbares Massenprodukt. Braun und süß, hier und da eine Nuss – das reichte. Aber seit kurzer Zeit können sich teure Schoko-Boutiquen mit ihren Auslagen voll edelbitterer Täfelchen in bester Innenstadtlage halten. Schoko-Kenner sind auf der Bildfläche erschienen, die über das richtige « Bruchgeräusch » fachsimpeln und Kakao-Anbaugebiete nach dem Geschmack unterscheiden können.

Jetzt liegen Chocolatiers wie die Firma Neuhaus im Trend – mit Schoko-Kollektionen, die auf erlesene Rotweine abgestimmt sind. Andere Hersteller experimentieren mit Vollkornbrot-Schokolade oder Schoko-Sushi. Das alles trifft offenbar den Zeitgeist: Schokolade ist kein phantasieloser Dickmacher mehr – sondern exklusiver Genuss.

Aber das Schicksal ist grausam: Gerade jetzt, da die Deutschen sich zu echten Schoko-Connaisseuren mausern – da wird der Kakao knapp. In den Erzeugerländern der Kakaobohnen, des wichtigsten Rohstoffes für Schokolade, sorgen politische Unruhen und die Folgen jahrzehntelangen Raubbaus für erhebliche Unsicherheit. Rohstoff-spekulanten – von ihren Untaten wird später noch die Rede sein – tragen ihr Scherflein zur Krise bei.

Und so wird pünktlich zur Weihnachtszeit Kakao drastisch teurer. Eine politische Krise im wichtigsten Anbauland für Kakao, der Elfenbeinküste (offiziell: « Côte d’Ivoire »), trieb den Preis an der New Yorker Rohstoffbörse in den vergangenen anderthalb Wochen in die Höhe. Von 2700 Dollar je Tonne stieg er in kürzerster Zeit auf zeitweise mehr als 3100 Dollar.

Grund zur Sorge für alle Schoko-Hedonisten? Ist dieser Preisanstieg ein erstes Zeichen künftiger Knappheit? Ein Warnung, dass uns der Kakao ausgeht – und ein Schokoladennotstand droht?

Die Schokoladenhersteller zumindest deuten das so. Schließlich zeigt ein langfristiger Vergleich: Der Kakaopreis schwankte in den vergangenen zehn Jahren oft, letztlich stieg er aber immer. Beim Schokoriegel-Produzenten Mars heißt es, die Plantagen in Afrika könnten mit der steigenden Nachfrage nicht Schritt halten. « Wir brauchen in den nächsten Jahren noch einmal die Kapazität der Elfenbeinküste », warnte Mars-Sprecher Matthias Berninger jüngst auf einem Podium in Frankfurt. « Wenn nichts passiert, wird sich der Preis für Schokolade in 20 Jahren verdoppeln. »

Die Unkenrufe könnten freilich Zweckbehauptungen sein. Suchen die Schoko-Hersteller nur Argumente, um die Preise für ihre Tafeln, Riegel und Weihnachtsmänner anzuheben? Immerhin ist sicher: Die Nachfrage nach Kakao hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. Noch im Jahr 2000 lag sie bei unter drei Millionen Tonnen. Dieses Jahr sind es fast vier Millionen Tonnen, wie die « International Cocoa Organization » berichtet, die Importeure und Exporteure vertritt.

Allein die Deutschen essen jedes Jahr pro Kopf rund neun Kilo oder 90 Tafeln Schokolade. Mit der Schweiz liegen sie damit weltweit an der Spitze. Jetzt in der Weihnachtszeit gehen hierzulande mehr als 100 Millionen Schoko-Weihnachtsmänner über die Ladentheken – weitere fast 50 Millionen gehen in den Export. Aber auch anderswo wächst der Appetit: « Schwellenländer wie Brasilien, Russland oder China werden zunehmend wichtiger », sagt Jürgen Steinemann, Vorstandschef des weltgrößten Schokoladenproduzenten, Barry Callebaut in Zürich. Zu der Firma mit 7500 Mitarbeitern gehören etwa die Marken Sarotti, Alpia und Van Houten.

Was passiert, wenn die Chinesen und Inder beim Schoko-Konsum mit Europa gleichziehen, lässt sich nur erahnen. In China, dem Land mit dem größten Schoko-Potential, leben gut 1,3 Milliarden Menschen, fast doppelt so viele wie in Europa. Der Pro-Kopf-Konsum liegt noch weit niedriger: Während ein Europäer im Schnitt zwei Kilo reinen Kakaos im Jahr verspeist, isst ein Chinese nicht einmal 20 Gramm. Sollten die Chinesen eine Schwäche für Kakaoprodukte entwickeln – dann dürfte das den Preis steil nach oben treiben.

Dabei ist es typisch für Kakao, dass das Angebot zu langsam auf eine steigende Nachfrage reagiert. Kakaobäume gedeihen nur in einem engen Gürtel rund um den Äquator. Erst drei bis fünf Jahre nachdem ein Baum gepflanzt wurde, ist eine erste Ernte möglich. Steigt die Nachfrage nach Kakaoprodukten sprunghaft an, kommen die Plantagen nur langsam nach. Die jüngste Preisralley beim Kakao jedoch hat andere Gründe. « Es hat begonnen, als die Ergebnisse der Wahlen an der Elfenbeinküste bekannt wurden », sagt Carsten Fritsch, Rohstoffexperte der Commerzbank. Von der Elfenbeinküste stammen fast 40 Prozent der weltweiten Kakaoernte – ein Großteil wird in der Schweiz und in Deutschland verarbeitet. Nach der Präsidentenwahl entbrannte in dem Land ein regelrechter Machtkampf. Sowohl der alte Amtsinhaber als auch sein Herausforderer beanspruchten den Wahlsieg für sich. Das Militär riegelte kurzerhand die Grenzen zu Land, zu Wasser und in der Luft ab.

Sofort bangten Schokoladenproduzenten und Investoren in aller Welt um ihre Kakaoversorgung. « Es gibt Berichte, wonach Lieferungen verzögert werden, und keine Kakaobohnen aus dem Land kommen », schrieben Analysten der Investmentbank Macquarie. Bis zum Jahresende müssen angeblich noch 300 000 Tonnen Kakao die Häfen des Landes verlassen. Rund 25 000 Tonnen sollen gar in den Plantagen zurückgehalten werden: « Es gibt Sorgen, dass die Transporte nicht sicher sind », sagt Rohstoffexperte Fritsch. Kein Wunder, dass an den Kakao-Börsen die Preise in die Höhe schossen. Doch nicht nur politische Unruhen in Afrika beeinflussen den Nachschub an Kakao – gerade mit diesem Rohstoff wird auch erheblich gezockt. Seit Jahren erreichen den Kakaomarkt immer neue Spekulationswellen. Sie treiben den Preis mal hoch und mal runter – und beeinflussen auch die auf dem Weltmarkt verfügbaren Mengen.

Besonders extrem war es im vergangenen Sommer. Da sorgte ein gewisser Anthony Ward für Schlagzeilen, einer der mächtigsten Männer im Kakaogeschäft: ein Händler, der zugleich Hedgefondsmanager ist. « Choc-Finger » haben die Medien den 50-jährigen Briten getauft – in Anlehnung an den Bösewicht « Goldfinger » aus dem gleichnamigen James-Bond-Film.

Seinem Ruf hat Ward alle Ehre gemacht, als er im Juli für etwa eine Milliarde Dollar rund sieben Prozent der weltweiten Ernte eines Jahres aufkaufte – und später weiterveräußern ließ. Konkurrierende Händler beschuldigten Ward damals, mit seiner Aktion den Kakaomarkt zu « cornern »: Das bedeutet, mit einer Verknappung des Angebots den Preis künstlich hochzutreiben.

Tatsächlich befand sich der Kakaopreis Mitte Juli auf einer Höhe wie seit mehr als 30 Jahren nicht mehr. Seither sind die weltweiten Kakaomärkte in Aufruhr.

In den Blogs amerikanischer Ökonomen wird heiß darüber debattiert, wie es einem einzigen Händler möglich sein soll, so etwas zu schaffen. Der Nobelpreisträger Paul Krugman immerhin meint: Mit einem Modell lasse sich zeigen, dass « cornern » für lagerbare Rohstoffe funktioniere – für Kakao genauso wie Kupfer.

Wieso nur ist niemand auf solche Tricks vorbereitet? Spekulation auf den Kakaopreis ist so alt wie politische Unruhen in afrikanischen Staaten – doch die Alternativen für die Kakao-Beschaffung sind offenbar begrenzt. Schokoladen-Produzent Steinemann ist pessimistisch: « Die Rohstoffpreise dürften sich weiter über dem historischen Mittel bewegen – und volatil bleiben. »

Zwar versuchen andere Länder bereits, ihre Kakao-Produktion auszuweiten. So könnten Einbußen an der Elfenbeinküste möglicherweise ersetzt werden. « Versuche dazu gibt es », sagt Rohstoffexperte Fritsch. Das westafrikanische Nachbarland Ghana etwa gilt als Hoffnungsträger: Es will in drei bis fünf Jahren die Elfenbeinküste bei der Kakao-Produktion einholen. « Bislang aber liegen die höchstens bei der Hälfte », sagt Fritsch. « Das wird schwer. »

Weniger Kakao will die Schokoladenindustrie aber angeblich nicht in ihr Silberpapier wickeln. Auch von einem Recycling nicht genutzter Schokoladenfiguren will man nichts hören. Dabei halten sich seit Jahren Gerüchte, die Industrie schmelze jedes Jahr nach Weihnachten die übriggebliebenen Schoko-Nikoläuse und -Weihnachtsmänner einfach wieder ein – und forme aus ihnen kurzerhand die Osterhasen für die nächste Saison. Die Hersteller bestreiten das vehement. « Das ist ein Mythos », heißt es beim Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie. Zwar sei es in kleineren Konditoreien durchaus möglich, nicht verwendete Schokolade wieder einzuschmelzen. Je nach Sorte, Schmelztemperatur und verwendeten Fetten habe das mehr oder weniger starken Einfluss auf den Geschmack.

ivoiriens de l'étranger [1]

Die meisten Weihnachtsmänner, Nikoläuse und Osterhasen aber kommen hierzulande vom Fließband. Und in Fabriken sei es weder hygienisch erlaubt noch praktikabel, Produkte, die bereits in den Geschäften standen, wieder abzuholen, auszupacken und einzuschmelzen. « Das wäre auch viel zu teuer. » Wenn man sich die Prognosen für den Schokoladenpreis anhört, muss man vielleicht hinzufügen: noch.

Text: F.A.S.
Bildmaterial: Dieter Rüchel, dpa, F.A.Z.

Source: faz.net

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Endnotes:
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